Öffentliche Wasserversorgung und kartellbehördliche Preiskontrolle

Der Beschluss des BGH vom 02.02.2010 zur kartellbehördlichen Missbrauchsaufsicht über die Wasserpreise hat zu verstärktem Druck auf die kommunale Wasserversorgung geführt. Die Reaktionen auf den Beschluss des BGH schwanken zwischen Enttäuschung (auf der kommunalen Seite) und wettbewerblich motivierter Euphorie. Aufmerksamkeit verdient die Frage, ob die kommunalen Wasserversorger sich dem kartellbehördlichen Zugriff durch eine Flucht ins öffentliche Recht entziehen können.

Der Bundesgerichtshof hat in dem vielbeachteten Verfahren des Wasserversorgungsunternehmens enwag Wetzlar gegen das Hessische Wirtschaftsministerium (als Landeskartellbehörde) durch Beschluss vom 02.02.2010 die Rechtsbeschwerde der enwag gegen den Beschluss des OLG Frankfurt a.M. vom 18.11.2008 zurückgewiesen (Az.: KVR 66/08). Damit hat der BGH – ebenso wie zuvor das OLG – die kartellbehördliche, von der enwag angefochtene Preissenkungsverfügung im Wesentlichen bestätigt. Den Kartellbehörden sind hierdurch weitreichende, auf Wasserpreisvergleiche gestützte Befugnisse der Missbrauchsaufsicht zuerkannt worden.

Diese Weichenstellung hat nicht nur für Hessen, sondern auch für andere Bundesländer (wie z.B. für Nordrhein-Westfalen) grundlegende Bedeutung. Die Landeskartellbehörden prüfen derzeit bundesweit, ob sie den in Hessen angeschobenen und durch das „grüne Licht“ des BGH in Fahrt gebrachten Zug beschleunigen sollen. Die Wasserpreise der kommunalen Versorgungsunternehmen geraten hierdurch unter Druck.

Die kartellrechtlichen Grundlagen dieses Vorganges sind kompliziert. Die Wasserversorgung unterfällt – anders als die Elektrizitäts- und Gasversorgung – nach wie vor einer kartellrechtlichen Bereichsausnahme. Danach bestehen für die Wasserversorgung die gebietsbezogenen Versorgungsmonopole bislang fort. Nach § 131 Abs. 6 GWB sind insoweit die §§ 103, 103 a) und 105 sowie die auf diese Bestimmungen verweisenden Vorschriften des GWB i.d.F. der Bekanntmachung vom 20.02.1990 weiter anzuwenden. Die Wasserversorgung unterliegt danach keiner institutionalisierten Regulierung, sondern der kartellbehördlichen Missbrauchsaufsicht gemäß § 103 Abs. 5 und 6 GWB a.F.

Die kommunalen Wasserversorgungsunternehmen haben sich lange gegen das kartellrechtliche Damoklesschwert der Wasserpreisvergleiche und der hieraus abgeleiteten Preissenkungsverfügungen gewehrt. Die hierfür angeführten Argumente bestehen in den unterschiedlichen Realfaktoren der Wasserversorgung und der Wasserpreise (u.a. naturräumliche Standortbedingungen, Siedlungsdemographie und -dichte, Abnehmerstruktur und Größe des Versorgungsgebiets), im wasserrechtlichen Vorrang der ortsnahen Wasserversorgung (§ 1 Abs. 3 WHG a.F., § 50 Abs. 2 Satz 1 WHG n.F.), im Charakter der öffentlichen Wasserversorgung als Aufgabe der kommunalen Selbstverwaltung (Daseinsvorsorge) sowie in dem Systemunterschied zwischen kartellbehördlicher Preiskontrolle (i.S. der Missbrauchsaufsicht) und marktgestaltender Regulierung, die den Kartellbehörden gerade nicht zukommt. Auch die gebotene und mit der 7. GWB-Novelle angestrebte größtmögliche Synchronisierung zwischen europäischem und deutschem Kartellrecht lässt sich als Argument dafür anführen, dass schematische Preisvergleiche eine unzureichende Grundlage für die Annahme eines missbräuchlichen Marktverhaltens darstellen. Der EuGH hat sich jedenfalls bisher im Wettbewerbsrecht nie auf bloße schematische Preisvergleiche gestützt. Er hat vielmehr einen „unangemessenen Preis“ nur bejaht, wenn der verlangte Preis überhöht ist, weil er in keinem vernünftigen Verhältnis zum wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistung steht.

Alle diese Argumente haben den BGH nicht überzeugen können. Vielmehr meint der BGH, dass an das entscheidende Merkmal der Gleichartigkeit in § 103 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 GWB 1990 „keine überhöhten Anforderungen gestellt werden“ dürften; es habe nur die Funktion, „eine grobe Sichtung unter den als Vergleichsunternehmen in Betracht kommenden Versorgungsunternehmen zu ermöglichen“ (LS 2). Das Versorgungsunternehmen könne sich – so der BGH – bei dem ihm nach § 103 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 GWB 1990 obliegenden Nachweis, dass seine ungünstigeren Preise auf Umständen beruhen, die ihm nicht zurechenbar seien, nur auf solche Kostenfaktoren berufen, die auch jedes andere Unternehmen in der Situation des Betroffenen vorfinden würde und nicht beeinflussen könnte. Dagegen hätten individuelle, allein auf unternehmerische Entschließung oder auf die Struktur des betroffenen Versorgungsunternehmens zurückgehende Umstände außer Betracht zu bleiben (LS 3). Lediglich die Feststellung eines rückwirkenden Preismissbrauchs hält der BHG im Anwendungsbereich der §§ 103, 22 GWB 1990 für nicht zulässig (LS 4).

Der Beschluss des BGH vom 02.02.2010 hat höchst unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Dies erklärt sich aus der nachgezeichneten Gefechtslage. Die kommunalen Versorgungsunternehmen sehen den Beschluss als unheilvolle Fehlentscheidung an, während einige Kartellbehörden und ihre marktliberalen Kombattanten frohlocken. Sie sehen den „Weg zu niedrigeren Wasserpreisen frei“ (so FAZ.NET vom 02.02.2010).

Jenseits dieser Reaktionen lässt die Nachricht aufhorchen, dass kommunale Wasserversorger gegenwärtig prüfen, ob sie sich dem kartellbehördlichen Zugriff durch eine Flucht ins öffentliche Recht entziehen können (so Manfred Köhler, in: FAZ.NET vom 11.02.2010). Der Hintergrund dieser Überlegung ist naheliegend: Das Kartellrecht ist zwar unabhängig von der Organisationsform öffentlicher Unternehmen anwendbar. Es gilt nicht nur für die privatrechtlich organisierten Eigengesellschaften (namentlich in der Rechtsform einer AG oder GmbH), sondern auch für öffentlich-rechtlich organisierte Unternehmen (in der Rechtsform eines Regiebetriebes, eines Eigenbetriebes oder einer Anstalt des öffentlichen Rechts). Indessen zieht die Wahl der Handlungsform eine wichtige Unterscheidung nach sich. Falls ein Versorgungsunternehmen seine Leistungen hoheitlich erbringt und seine Trägerkörperschaft (z.B. die Gemeinde) hierfür auf der Grundlage des jeweiligen Kommunalabgabengesetzes und kommunaler Satzungen öffentlich-rechtlicher Abgaben (Gebühren oder Beiträge) erhebt, unterliegt dieser Vorgang der staatlichen Kommunalaufsicht, nicht aber dem Kartellrecht. Die kommunalabgabenrechtliche Wasserpreisgestaltung unterfällt nicht der kartellbehördlichen Missbrauchsaufsicht (Breuer, NVwZ 2009, 1249, 1250). Wenn eine Gemeinde die öffentliche Wasserversorgung hoheitlich betreibt und hierfür aufgrund des jeweiligen Kommunalabgabengesetzes und ihrer Satzungen öffentlich- rechtliche Abgaben erhebt, können diese eine unterschiedliche, am Kostendeckungsprinzip ausgerichtete Höhe aufweisen. Die kommunalabgabenrechtlichen Prinzipien gebieten sogar derartige, von den jeweiligen Standortbedingungen abhängige Differenzen (Breuer, a.a.O., S. 1254). Die Kommunalaufsicht kann und muss dies tolerieren, sie hat dies bisher auch stets getan.

Die Konsequenz einer solchen Flucht ins öffentliche Recht mag zunächst absurd erscheinen. Jahrzehntelang war – mit unterschiedlichen Tendenzen in den einzelnen Bundesländern – eine Flucht der Kommunalwirtschaft ins Privatrecht festzustellen, weil dieses mehr unternehmerische, finanzwirtschaftliche und personalwirtschaftliche Flexibilität zu bieten schien. Wenn man indessen die kartellrechtlichen Daumenschrauben anzieht, droht ausgerechnet an dieser Stelle mehr Dirigismus. Umgekehrt betrachtet bietet sich mithin das öffentliche Recht für die kommunalen Wasserversorger als Hort größerer wirtschaftlicher Freiheit und Flexibilität an. Der Dualismus zwischen öffentlichem und privatem Recht wird so in überraschender Weise wiederbelebt. Ob dies alles der öffentlichen Wasserversorgung und dem Verbraucher nutzt, erscheint zweifelhaft. So bleibt, bezogen auf die öffentliche Wasserversorgung, die Frage: Quo vadis?

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte