Abgrenzung von Abfall und Nebenprodukt

Zur Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung bei der Abgrenzung von Abfall und Nebenprodukt am Beispiel von Gülle

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in seiner Entscheidung in der Rechtssache Brady ./. EPA Irland (Urteil vom 03.10.2013) unter anderem darüber zu befinden, unter welchen Voraussetzungen Gülle aus einem Intensivschweinemastbetrieb als Nebenprodukt eingestuft werden kann und insbesondere welches Maß an Gewissheit hinsichtlich der beabsichtigten Wiederverwendung der Gülle dafür erforderlich ist. Darüber hinaus war vom vorlegenden Gericht die Frage aufgeworfen worden, inwieweit dem Gülleerzeuger die Beweislast dafür obliegen kann, dass die Voraussetzungen zur Einstufung als Nebenprodukt erfüllt sind.

Der Kläger vor dem vorlegenden nationalen Gericht führt einen Schweinmastbetrieb mit 2.000 Sauen. Er stellte 1998 einen Antrag auf Erteilung der Genehmigung zur Erweiterung seines Betriebs. Darin beschrieb er unter anderem die Kapazität der auf dem Betriebsgelände vorhandenen Tanks. Sie erlaube ihm, die Menge einer Jahresproduktion Gülle zu lagern. In verschiedenen Verträgen mit Landwirten hätten diese sich zur Abnahme der Gülle verpflichtet, um sie auf ihren Flächen als Düngemittel zu verwenden. Die dem Kläger von der EPA 1999 erteilte Genehmigung schreibt vor, dass er die Einhaltung der in der Genehmigung festgelegten Bedingungen für die Verwendung der Gülle durch die Landwirte sicherzustellen hat.

Gegen diese Entscheidung der EPA erhob der Kläger Klage vor dem High Court. Diese begründete er zum Einen damit, dass die Gülle kein Abfall, sondern ein Nebenprodukt seines Betriebs sei, das er als Dünger vermarkte. Deswegen sei die EPA nicht befugt gewesen, die Beseitigung oder Verwertung der Gülle als Abfall unter den in der streitigen Genehmigung vorgesehenen Bedingungen zu regeln. Zum Anderen dürfe die EPA ihm nicht die strafbewehrte und durch ihn nicht erfüllbare Verpflichtung auferlegen, zu kontrollieren, wie die Gülle, die er an die Landwirte verkaufe, von diesen verwendet werde, zumal die Europäische Union mit der Richtlinie 91/676 spezifische Vorschriften zur Regelung des Aufbringens von Dung als Düngemittel erlassen habe. Nach Abweisung seiner Klage durch den High Court legte der Kläger Rechtsmittel beim Supreme Court ein. Auch dabei machte er zwei Rechtsmittelgründe geltend. Zum einen sei die Gülle rechtsfehlerhaft als Abfall eingestuft worden. Zum anderen hätte die EPA, auch wenn die Einstufung als Abfall zutreffen sollte, die erteilte Genehmigung nicht mit Auflagen versehen dürfen, welche ihn verpflichten, die von Dritten vorgenommene Aufbringung auf deren Flächen zu kontrollieren und dafür die Verantwortung zu übernehmen.

Der Supreme Court hat es auch unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH zum Umgang mit Gülle in Spanien als fraglich angesehen, mit Hilfe welcher Kriterien zu bestimmen ist, ob Gülle bei deren dauerhafter Lagerung wegen möglicher Verunreinigungen der Umwelt Abfall bleibt. Daher hat der Supreme Court das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH im Wege der Vorabentscheidung unter anderem folgende Fragen vorgelegt:

– Welches Maß an Gewissheit der Wiederverwendung ist bei Schweinegülle erforderlich, die vom Inhaber einer Genehmigung gesammelt und gelagert oder für mehr als zwölf Monate gelagert werden kann, bevor sie auf den Verwender übergeht?

– Wenn Schweinegülle Abfall darstellt oder bei Anwendung der relevanten Kriterien als Abfall anzusehen ist, ist ein Mitgliedstaat berechtigt, ihrem Erzeuger eine persönliche Einstandspflicht für die Einhaltung der Bestimmungen des Unionsrechts durch diese Dritten aufzuerlegen, um sicherzustellen, dass die Verwendung der Schweinegülle durch die Dritten in Form der Aufbringung auf ihrem Land nicht das Risiko einer erheblichen Umweltverschmutzung mit sich bringt?

Die erste Frage zielt zum Einen auf die Voraussetzungen, unter denen Gülle als Nebenprodukt eingestuft werden kann, insbesondere drauf, welches Maß an Gewissheit hinsichtlich der beabsichtigten Wiederverwendung der Gülle erforderlich ist, und zum Anderen darauf, inwieweit dem Gülleerzeuger die Beweislast dafür obliegen kann, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind.

Die Entscheidung beginnt bei den Tatbestandsmerkmalen in Art. 1 Buchstabe a) Abs. 1 der Abfallrahmenrichtlinie 1975 (AbfRRL) und weist darauf hin, dass sowohl deren Anhang I als auch dem Abfallverzeichnis nur Hinweischarakter zukommt. Die Einstufung als „Abfall“ ergebe sich vor allem aus dem Verhalten des Besitzers und der Bedeutung des Ausdrucks „sich entledigen“. Dieser Ausdruck sei im Licht der Hauptzielsetzung der Richtlinie und zudem unter Beachtung der Grundsätze der Vorsorge und Vorbeugung nicht eng auszulegen. Unabhängig von der Methode der Behandlung oder der Art der Verwendung solle das System der Überwachung und Bewirtschaftung alle Gegenstände und Stoffe erfassen, deren sich ein Besitzer entledige, auch wenn sie Handelswert hätten. Sodann wird in der Entscheidung festgestellt, dass der in einem Intensivschweinemastbetrieb anfallende Dung, den der Betriebsinhaber nicht hauptsächlich zu gewinnen sucht und dessen Aufbringung als Dünger wegen der potenziellen Gefährlichkeit seiner Zusammensetzung für die Umwelt unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen zu erfolgen hat, grundsätzlich Abfall darstellt. In bestimmten Fällen könne es jedoch sein, dass ein Gegenstand, der bei einem nicht hauptsächlich zu seiner Gewinnung bestimmten Herstellungsverfahren entsteht, ein Nebenerzeugnis darstellt, dessen sich der Besitzer nicht entledigen will, sondern den er unter für ihn vorteilhaften Umständen in einem späteren Vorgang nutzen oder vermarkten möchte, sofern diese Wiederverwendung nicht nur möglich, sondern ohne vorherige Bearbeitung des Gegenstandes in Fortsetzung des Gewinnungsverfahrens gewiss ist.

Dazu war vom EuGH bereits entschieden worden, dass bei Dung eine Einstufung als Abfall ausscheiden kann, wenn er im Rahmen einer rechtmäßigen Aufbringungspraxis auf genau bestimmten Geländen als Dünger verwendet und nur für die Erfordernisse dieser Aufbringung gelagert wird. Zudem war klargestellt worden, dass diese Wertung nicht auf Dung beschränkt ist, der nur auf Geländen desjenigen landwirtschaftlichen Betriebs als Dünger verwendet wird, der ihn produziert hat. Dabei sei es Sache der nationalen Gerichte, unter Berücksichtigung der vorgenannten Hinweise und Umstände des Einzelfalls sicherzustellen, dass die Voraussetzungen für ein Nebenprodukt erfüllt sind.

Zur Prüfung der Frage, ob die Wiederverwendung der Gülle, die bis zur Ausbringung gelagert wird, gewiss ist, wird in der Entscheidung des EuGH festgestellt, dass der bloße Umstand, insoweit Gewissheit letztlich erst mit der von Dritten durchgeführten Aufbringung zu erlangen, der Einstufung als Nebenprodukt nicht entgegensteht. Was in Zukunft mit einem Gegenstand geschehe, sei nicht allein entscheidend. Auch wenn bei dem Kläger die beabsichtigte Wiederverwendung der Gülle einen solchen Grad an Gewissheit aufweise, dass die Gülle während ihrer Lagerung bis zur tatsächlichen Aufbringung als Nebenprodukt angesehen werden kann, sei nicht im Vorhinein bestimmt, dass die Gülle nach der Auslieferung nicht zu Abfall werden kann. In diesem Fall sei derjenige als Besitzer der Gülle anzusehen, bei dem diese als Abfall angefallen ist.

Die vorgesehene Wiederverwendung der Gülle ist aus Sicht des EuGH dann hinreichend gewiss, wenn die für ihre Lagerung vorgesehenen Flächen des Landwirts genau bestimmt sind und er über feste Zusagen von Betriebsinhabern verfügt, die Gülle abzunehmen, um sie als Dünger auf genau bezeichneten Flächen zu verwenden.

Außerdem habe die Lagerung streng auf die Erfordernisse der Ausbringung beschränkt zu sein. Diese Anforderung beziehe sich auf die Lagermenge, die in ihrer Gesamtheit der Wiederverwendung dienen müsse, ebenso wie auf die Lagerungsdauer, welche durch die saisonale Bedingtheit der Ausbringung bestimmt sei.

Darüber hinaus erfordere die Wiederverwendung der Gülle durch Dritte, wie sie vom Erzeuger vorgesehen ist, dass sie diesem einen Vorteil verschafft. Dazu gehöre der durch die nationalen Gerichte zu berücksichtigende Umstand, dass die in Frage stehende Sache Gegenstand tatsächlicher Handelsgeschäfte ist und den Spezifikationen der Käufer entspricht. Dazu könne es erforderlich sein, die finanziellen Bedingungen der Geschäfte zwischen den Gülleerzeugern und ihren Abnehmern zu prüfen.

Unter diesen Voraussetzungen könne Gülle aus einem Schweinemastbetrieb bei ihrer Lagerung bis zur Auslieferung an die Landwirte, um von diesen als Dünger verwendet zu werden, Nebenprodukt sein, sofern der Erzeuger die Gülle unter für ihn vorteilhaften wirtschaftlichen Bedingungen vermarkten wolle, wobei die Wiederverwendung der Gülle ohne vorherige Bearbeitung in Fortsetzung des Gewinnungsverfahrens gewiss sein müsse.

Die Beweislast für das Vorliegen dieser Kriterien trage der Erzeuger der Gülle.

Hinsichtlich der Beantwortung der zweiten Frage wegen der Verantwortlichkeit des Gülleerzeugers dafür, dass die Landwirte die unionsrechtlichen Bestimmungen über die Abfall- und Düngemittelbewirtschaftung einhalten, wird in der Entscheidung zunächst darauf hingewiesen, dass die Frage nur für den Fall gestellt sei, dass die Gülle Abfall ist. In diesem Fall würden die Voraussetzungen nach Art. 8, 1o und 11 AbfRRL zu beachten sein, nämlich dass der Abfall nur einem privaten oder öffentlichen Sammelunternehmen oder einem Unternehmen zu übergeben ist, das die in Anhang II A oder II B der AbfRRL genannten Maßnahmen durchführt und über die dazu erforderliche Genehmigung verfügt. In diesem Fall würde ausschließlich dieses Unternehmen und nicht der Vorbesitzer dafür verantwortlich sein, dass dafür die maßgeblichen Rechtsvorschriften und die Genehmigung eingehalten werden. Deswegen würde es mit den genannten Vorschriften der AbfRRL nicht übereinstimmen, wenn der Gülleerzeuger bei Abgabe des Abfalls der Bedingung unterworfen wird, die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass die Landwirte die Vorschriften der Abfall und- Düngemittelbewirtschaftung einhalten.

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

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