Lange galt der Grundsatz, dass bei Bauverträgen nach der VOB/B die Vergütung bei Mehr-, Änderungs- und Zusatzleistungen durch eine Fortschreibung der ursprünglichen Kalkulation zu ermitteln war. Dieser Grundsatz gilt zwischenzeitlich, wie aktuelle obergerichtliche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Oberlandesgerichts (OLG) Köln zeigen, nicht mehr uneingeschränkt.
Kommt es bei einem Bauvertrag, in den die VOB/B (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B: Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen) einbezogen wurde (VOB/B-Vertrag), zu Leistungsänderungen, haben die Parteien in vielen Fällen einen Anspruch auf Anpassung der vereinbarten Vergütung. Konnten sich die Parteien auf eine solche nicht einvernehmlich einigen, war gemäß der vorherrschenden Lesart der VOB/B die Anpassung durch eine Fortschreibung der Kalkulation anhand der Urkalkulation zu ermitteln. In der täglichen Baupraxis hatte sich dazu die Faustformel „Guter Preis bleibt guter Preis – schlechter Preis bleibt schlechter Preis“ eingebürgert. Hiervon profitierte ein Auftragnehmer immer dann, wenn er die Preise in der betreffenden Position auf einem hohen Niveau kalkuliert hatte. Der Auftraggeber profitierte hingegen, wenn der Auftragnehmer in der betreffenden Position auf einem niedrigen Preisniveau kalkuliert hatte oder die Preisentwicklung zu tatsächlich höheren Kosten zum Zeitpunkt der Ausführung der Leistung führte.
Maßgeblich für diese sogenannte vorkalkulatorische Preisfortschreibung ist die Urkalkulation, nicht aber die tatsächlich erforderlichen Kosten.
Im Gegensatz hierzu stellt das BGB-Bauvertragsrecht für einen Bauvertrag, welcher nicht die VOB/B als Vertragsbedingungen einbezogen hat, auf die tatsächlich erforderlichen Kosten ab. Nach § 650c Abs. 1 BGB ergibt sich die Höhe des Vergütungsanspruchs für den infolge einer Anordnung des Bestellers vermehrten oder verminderten Aufwand nach den tatsächlich erforderlichen Kosten unter Berücksichtigung angemessener Zuschläge für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn. Dabei steht es dem Unternehmer gemäß § 650c Abs. 2 BGB frei, zur Berechnung der Vergütung für einen Nachtrag auch auf die Ansätze in einer hinterlegten Urkalkulation zurückzugreifen. Vorteilhaft für Auftragnehmer ist eine Anpassung auf Basis der tatsächlich erforderlichen Kosten vor allem dann, wenn Preisentwicklungen Einfluss auf die geänderte Leistung haben.
BGH, Urteil vom 08.08.2019, VII ZR 34/18
Mit Urteil vom 08.08.2019 hat der BGH (VII ZR 34/18) erstmals entschieden, dass auch bei einem VOB-Vertrag der Preis für die die 110 %-Grenze übersteigenden Mehrmengen, § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B, selbstständig und losgelöst von dem ursprünglichen Einheitspreis zu bestimmen ist. Damit erteilte der für das Baurecht zuständige 7. Zivilsenat der vorkalkulatorischen Preisfortschreibung bei Mengenänderung eine Absage.
Zunächst einmal überraschend für die beteiligten Kreise stellte der BGH fest, dass für den Anspruch auf Bildung eines neuen Preises überhaupt keine Veränderung der im ursprünglichen Einheitspreis kalkulierten Kosten erforderlich sei. Der Anspruch auf Anpassung eines Einheitspreises bestehe vielmehr schon dann, wenn es zu einer Überschreitung des Mengenansatzes um mehr als 10 % kommt.
§ 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B könne jedoch keine Regelung entnommen werden, wie der Preis zu bestimmen sei. Die Bildung des neuen Preises sei „in die Hände der Vertragsparteien“ zu legen, die gehalten seien, einen neuen Vertragspreis auszuhandeln. Nur wenn die Parteien sich nicht auf einen neuen Einheitspreis verständigen könnten, sei ggf. ein angerufenes Gericht dazu berufen, zu entscheiden, welcher Preis für die Mehrmenge in Ansatz zu bringen ist.
Das Gericht habe dabei zunächst zu berücksichtigen, ob zwischen den Parteien zumindest Einigkeit über bestimmte Teilelemente für die Neuberechnung des Preises bestehe. Dies gelte etwa auch für die Frage, welche Zuschläge bei der Neuberechnung des Preises zu berücksichtigen seien.
Hinsichtlich der Preisbestandteile, bei denen zwischen den Parteien Uneinigkeit besteht, könne das Gericht nicht auf ein allgemeingültiges Verständnis von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B zurückgreifen. Es sei vielmehr im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung zu bestimmen, welcher Maßstab für die Ermittlung des neuen Preises anzuwenden sei. Bei Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen bilden nach der Entscheidung des BGH die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge den Maßstab für die Neuberechnung. Denn die tatsächlich erforderlichen Kosten ließen sich ohne weiteres ermitteln und ermöglichten eine realistische Bewertung. Eine Störung des Äquivalenzverhältnisses bzw. des Vertragspreisniveaus trete hierdurch nicht ein, da für den neuen Preis der Mehrmenge das ursprüngliche vertragliche Preisgefüge gerade nicht gelte.
Mit dieser Entscheidung hat der BGH die Diskussion zur Anpassung von Vergütungsansprüchen nach der VOB/B zunächst im Hinblick auf Mengenänderungen beendet.
Darüberhinausgehend haben das OLG Düsseldorf (Urteil vom 19.12.2019, 5 U 52/19) sowie das OLG Brandenburg (Urteil vom 22.04.2020, 11 U 153/18) zwischenzeitlich entschieden, dass auch im Falle von geänderten oder zusätzlichen Leistungen, § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B, die Vergütungsanpassung auf Basis der tatsächlich erforderlichen Kosten vorgenommen werden kann.
OLG Köln, Urteil vom 03.02.2021, 11 U 136/18
Nunmehr hat erstmalig auch das OLG Köln in einem bisher nicht rechtskräftigen Urteil vom 03.02.2021 entscheiden, dass in § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B nicht geregelt sei, wie die Vergütungsanpassung bei geänderten oder zusätzlichen Leistungen zu ermitteln ist, wenn die Parteien hierüber keine Einigung getroffen haben. Nach der Entscheidung des OLG Köln ist diese Regelungslücke im Vertrag im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu füllen. Wie im Falle von Mengenmehrungen gem. § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B entspreche es der Redlichkeit und dem bestmöglichen Interessenausgleich, die Vergütung nach den tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge für Allgemeine Geschäftskosten sowie Wagnis und Gewinn zu ermitteln, so das OLG Köln.
Diese Entscheidungen zeigen, dass aller Voraussicht nach die vorkalkulatorische Preisfortschreibung in Zukunft nicht mehr die Rolle spielen wird, die ihr bisher zugekommen ist. Vielmehr steht zu erwarten, dass eine Anpassung der Vergütung stets auf Basis der erforderlichen tatsächlichen Kosten vorzunehmen sein wird.
Auf der anderen Seite weisen die Entscheidungen deutlich darauf hin, dass die Parteien bei Abschluss eines Vertrages festlegen können, ob sie im Falle von Änderungen die Vergütungsanpassung anhand der tatsächlichen Kosten oder aber anhand der vorkalkulatorischen Preisfortschreibung vornehmen wollen. Diese Möglichkeit eröffnet Gestaltungsspielräume bei Vertragsschluss.
Für Auftragnehmer bedeutet die aktuelle Situation, dass bei Geltendmachung von Anpassungsansprüchen geprüft werden sollte, ob eine Anpassung anhand der vorkalkulatorischen Preisfortschreibung oder aber anfahand der tatsächlichen Kosten günstiger ist, und dementsprechend geltend gemacht wird.
Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte
Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.