Anschluss- und Benutzungszwang für die Abwasserbeseitigung

Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG) hat sich in einem Beschluss vom 10.02.2012 – 15 A 2020/11 – zum Anschluss- und Benutzungszwang für die Abwasserbeseitigung im ländlichen Raum geäußert. Obwohl es hierbei um eine kontroverse Dauerproblematik geht, enthält der Beschluss eine Reihe interessanter Aussagen, die über den entschiedenen Einzelfall hinausweisen und allgemeine Beachtung verdienen. 
 

Der zugrunde liegende Sachverhalt indiziert die tatsächlichen Schwierigkeiten bei dem Bemühen der Verwaltung, die Kanäle der öffentlichen Abwasseranlage bis in entlegene Winkel des jeweiligen Gemeindegebiets voranzutreiben, um dort den Anschluss- und Benutzungszwang durchzusetzen. Anerkannt ist, dass dieses Bemühen an tatsächliche und rechtliche Grenzen stößt und nicht bedingungslos auf jedem noch so entlegenen Wohn- oder Betriebsgrundstück durchgesetzt werden kann. Die ausführliche Regelung in § 53 des Wassergesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LWG NRW) zeigt, dass die grundsätzliche Pflicht der Gemeinden, das auf ihrem Gebiet anfallende Abwasser zu beseitigen, vielfältige Durchbrechungen kennt; diese müssen im Abwasserbeseitigungskonzept der Gemeinde konkretisiert werden (§ 53 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 LWG NRW). Ist die Einrichtung einer Kanalisation nicht gerechtfertigt, weil sie entweder keinen Nutzen für die Umwelt mit sich bringen würde oder mit übermäßigen Kosten verbunden wäre, so sind „andere geeignete kostengünstigere gemeinsame Abwassersysteme“ zulässig, die das gleiche Umweltschutzniveau gewährleisten (§ 53 Abs. 1 d) LWG NRW). 
 

In dem vom OVG entschiedenen Fall stritten die Beteiligten gleichwohl um den Anschluss eines landwirtschaftlichen Betriebsgrundstücks an eine öffentliche Druckrohrleitung. Der Eigentümer dieses Grundstücks hatte das dort anfallende häusliche Abwasser bisher in einer Kleinkläranlage aufgefangen und teils auf dem Grundstück verrieselt, teils der auf dessen landwirtschaftlich genutztem Teil befindlichen Drainage zugeführt. Die beklagte Gemeinde forderte den Eigentümer durch Bescheid auf, sein Grundstück an die davor „betriebsfertig liegende öffentliche Druckentwässerungsleitung“ anzuschließen. Die hiergegen erhobene Klage des Eigentümers wies das Verwaltungsgericht ab. Der daraufhin gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung war vor dem OVG erfolglos. 
 

Die Umstände des Streitfalles ließen es zweifelhaft erscheinen, ob wirklich eine „betriebsfertige und aufnahmefähige Abwasseranlage“ für den Anschluss des klägerischen Grundstücks existierte. Die beklagte Gemeinde hatte etwa 2 Jahre zuvor mit dem Eigentümer eines benachbarten Grundstücks einen „Bauerlaubnisvertrag“ geschlossen. Danach war die Gemeinde berechtigt, auf diesem Grundstück eine 295 m lange Druckleitung, an deren Ende einen Spülschacht und einen Abzweig bis zum Grundstück des Klägers zu verlegen. Die Gemeinde hatte diese Maßnahmen ausgeführt. Jedoch war eine dingliche Sicherung hinsichtlich der Druckleitung nicht zustande gekommen, weil der Eigentümer des benachbarten Grundstücks der Eintragung widersprochen und den Bauerlaubnisvertrag „widerrufen“ hatte.
 

Trotz dieser Umstände hat das OVG die verlegte Druckentwässerungsleitung als „betriebsfertige und aufnahmefähige Abwasseranlage“ qualifiziert und den geforderten Anschluss an diese Anlage für rechtens erachtet. Zur Begründung hat das OVG entscheidend darauf abgestellt, dass die Druckentwässerungsleitung als Teil der öffentlichen Abwasseranlage durch den angegriffenen Bescheid konkludent gewidmet worden sei. Einer ausdrücklichen oder gar förmlichen Widmung bedürfe es nicht. Für die Annahme der erforderlichen Widmung müsse lediglich der (nach außen wahrnehmbare) Wille der Gemeinde erkennbar sein, die fragliche Anlage als Teil der gemeindlichen Entwässerungsanlage in Anspruch nehmen zu wollen. Dies sei hier der Fall, weil die beklagte Gemeinde den Kläger in dem angegriffenen Bescheid aufgefordert habe, den Anschluss an die „öffentliche Druckrohrleitung“ vorzunehmen (OVG, a.a.O., Rn. 20 f.). 
 

Von der Widmungsprämisse ausgehend, hat das OVG NRW es als unerheblich angesehen, dass der Eigentümer des benachbarten, von der Druckrohrleitung durchzogenen Grundstücks sich an den mit der Gemeinde geschlossenen Bauerlaubnisvertrag nicht mehr gebunden sah. Dieser Umstand ändere – so das OVG – nichts an der Wirksamkeit der für den Betrieb einer „Entwässerungsstrecke“ als öffentliche Einrichtung erforderlichen Widmung. Ausdrücklich weist das OVG darauf hin, dass auch eine eventuell rechtswidrige Widmung wirksam sei. Im entschiedenen Fall fehle es zudem an einer Aufhebung der Widmung. Die öffentlich-rechtliche Widmung werde auch nicht durch eine „Anfechtung“ oder „Kündigung“ oder durch einen „Widerruf“ des Erlaubnisvertrages durch den Eigentümer des benachbarten, für den Leitungsbau in Anspruch genommenen Grundstücks auf zivilrechtlichem Weg beseitigt. 
 

Diese Konsequenzen entsprechen anerkannten Grundsätzen. Sie erscheinen verwaltungsrechtlich zwingend. Bestätigt wird hierdurch die Schlüsselrolle der öffentlich-rechtlichen Widmung für die Existenz einer öffentlichen Abwasseranlage sowie für die hieran geknüpfte Möglichkeit einer Durchsetzung des Anschluss- und Benutzungszwangs. Signifikant ist die praktizierte Formfreiheit der Widmung sowie die Relevanz der konkludenten Widmung gerade bei öffentlichen Abwasseranlagen. Den Kommunen wird dadurch die öffentlich-rechtliche Vereinnahmung vorhandener Entwässerungsleitungen sowie die Abrundung ihrer öffentlichen Abwasseranlage erleichtert. 
 

Beachtung verdienen aus rechtspraktischer Sicht auch die Ausführungen des OVG zu den Kosten des angeordneten Anschlusses und zu deren Verhältnismäßigkeit. Nach den Entscheidungsgründen ist es unerheblich, ob die Errichtung und der Betrieb einer Kleinkläranlage kostengünstiger sind als der angeordnete Anschluss. Infolgedessen „rechtfertigt sich hinsichtlich des Schmutzwassers der Anschluss- und Benutzungszwang schon daraus, dass die zentralisierte Beseitigung des Schmutzwassers durch die Gemeinde einen maßgeblichen Gesichtspunkt der Volksgesundheit darstellt“ (OVG, a.a.O., Rn. 29). Wie das OVG betont, erübrigt sich so, die Funktionsfähigkeit einer Vielzahl von Kleinkläranlagen durch Überwachung oder einzelfallbezogene Anordnungen bei Missständen sicherzustellen. Dadurch wird „die Sicherheit der Schmutzwasserbeseitigung erhöht, was der Volksgesundheit dient“ (OVG, a.a.O., Rn. 29 f.).
 

Der klägerische Einwand einer finanziellen Unverhältnismäßigkeit des angeordneten Anschlusses verkennt nach der gerichtlichen Wertung, „dass mit einem Anschlussverlangen die Schwelle zur Unangemessenheit auch bei hohen Anschlusskosten nur selten erreicht wird“ (OVG, a.a.O., Rn. 32). Insoweit erinnert das Gericht an seine ständige Rechtsprechung, wonach selbst Anschlusskosten in Höhe von 25.000,00 € je Wohnhaus die Zumutbarkeitsschwelle noch nicht überschreiten, wobei mit den Kosten diejenigen des Anschlusses ohne Anschlussbeitrag gemeint sind. Die gebotene Verhältnismäßigkeit wird damit generalisiert und als bloßes Verbot der Unverhältnismäßigkeit verstanden.

 

In der Praxis gilt es, mit dem Einwand der Unverhältnismäßigkeit entsprechend behutsam umzugehen. Gegenüber administrativen Anordnungen des Anschluss- und Benutzungszwangs für die Abwasserbeseitigung ist er nur aussichtsreich, wenn der angeordnete Anschluss – auch im Hinblick auf den Schutz der Volksgesundheit – einen nicht zweckrationalen Ausreißer darstellt, indem er dem betroffenen Eigentümer im Einzelfall eine ungeeignete, überflüssige oder aufgabendisproportionale und deshalb unangemessene Belastung auferlegt.

 

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte